Tragik der Allmende

Garrett Hardin hat 1968 einen vielbeachteten Essay über die „Tragedy of the Commons“[1] verfasst. Ähnlich dem Gefangenendilemma beschreibt er den Widerspruch rationalen Handelns des Einzelnen gegenüber gemeinschaftlichen Interessen. Kurzum stellt er fest, dass die Nutzung eines gemeinschaftlichen Gutes nicht gelingen kann. Wird z.B. eine Viehweide gemeinschaftlich genutzt („Allmende“), so wird jeder Viehhalter versuchen, seinen individuellen Profit zu maximieren, d.h. möglichst viel Vieh auf die Weide zu schicken. Dieses Verhalten führt (bei knappem Angebot von Weideland) unmittelbar zu Überweidung und damit letztlich zur Vernichtung des gemeinsamen Guts.

Hardins Ausgangspunkt ist das globale Bevölkerungswachstums, er fürchtet die Übernutzung des gemeinsamen Guts Erde. Bewusstseinsbildung ist für Hardin keine Lösung, er zieht zur Beweisführung eine Argumentation von Charles Darwins Enkel heran: „Bewusstsein eliminiert sich selbst. Es ist ein Fehler zu denken, dass wir die Vermehrung („breeding“) der Menschheit auf lange Sicht mit einem Appell an das Bewusstsein kontrollieren können. Charles Galton Darwin brachte dieses Argument anlässlich der Jahrhundertfeier der Veröffentlichung des bedeutenden Buches seines Großvaters vor. Das Argument ist klar und darwinianisch. Menschen unterscheiden sich. Wenn sie mit einem Appell konfrontiert werden, die Vermehrung einzuschränken, so werden einige unzweifelhaft mehr auf diesen Appell reagieren als andere. Diejenigen mit mehr Kindern werden in der nächsten Generation einen höheren Anteil stellen als jene mit einem für den Appell empfänglicheren Bewusstsein. Der Unterschied wird verstärkt, Generation für Generation.“[2] Der einzig mögliche Ausweg besteht für Hardin in Formulierung und Durchsetzung gesellschaftlicher Regeln – „the freedom to breed is intolerable“.

Im Kern sagt uns Hardin also, dass wir nur über gesellschaftlich sanktionierte Regeln fähig sind, zu kooperativem (d.h. dem Ganzen förderlichen) Verhalten zu finden.

Natürlich baut Hardins Essay auf realen schlechten Erfahrungen auf. Dennoch ist seine Argumentation in erster Linie erschreckend. Noch mehr erschreckt mich die Tatsache, dass ähnliche Argumentationsweisen auch heute noch zu hören sind, obwohl wir nunmehr über die Zusammenhänge von Emanzipation, Bildung, Wohlstand und Bevölkerungswachstum Bescheid wissen sollten. Sein Essay hat jedenfalls unsere Bilder von (Nicht-)Kooperation geprägt. Vielleicht zeigt es uns unsere Angst und Ohnmacht in einer – zumindest scheinbar – von Eigennutz dominierten Welt. Jedenfalls zeigt es, dass Kooperation nicht selbstverständlich ist.

Elinor Ostrom, eine US-amerikanische Professorin für Politikwissenschaft, hat sich des Problems gemeinschaftlich genutzter Güter übrigens differenzierter angenommen. Sie wurde für ihre Leistungen im Jahr 2009 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Sie hat zahlreiche erfolgreiche und gescheiterte Fälle weltweit analysiert und sieben Prinzipien für erfolgreiche selbstorganisierte Lösungen beschrieben[3]:

  1. Klar definierte Grenzen und einen wirksamen Ausschluss von externen Nichtberechtigten.
  2. Regeln bezüglich der Aneignung und der Bereitstellung der Allmenderessourcen müssen den lokalen Bedingungen angepasst sein.
  3. Die Nutzer können an Vereinbarungen zur Änderung der Regeln teilnehmen, so dass eine bessere Anpassung an sich ändernde Bedingungen ermöglicht wird.
  4. Überwachung der Einhaltung der Regeln.
  5. Abgestufte Sanktionsmöglichkeiten bei Regelverstößen.
  6. Mechanismen zur Konfliktlösung.
  7. Die Selbstbestimmung der Gemeinde wird durch übergeordnete Regierungsstellen anerkannt.

Das klingt schon optimistischer…



[1] Hardin, G., The Tragedy of the Commons, in Science, New Series, Vol. 162, No. 3859 (Dec. 13, 1968), S. 1243 – 1248)

[2] Ebenda, S. 1246, eigene Übersetzung

[3] Ostrom, E., Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt. Mohr Siebeck, Tübingen 1999