Das Gefangenendilemma

Robert Axelrod[1] hat die wohl berühmteste der modernen Kooperationsgeschichten der Mathematik (Spieltheorie) entnommen und weltweit bekannt gemacht. Es handelt es sich um die Geschichte zweier Einbrecher, die von der Polizei getrennt verhört werden. Die Polizei ist sich sicher, die Richtigen geschnappt zu haben, leider fehlen ihnen jedoch die Beweise. Nachweisen können sie den beiden lediglich verbotenen Waffenbesitz.

In dieser Situation bietet die Polizei beiden Beschuldigten getrennt einen Deal an: „Wenn Du gestehst und gegen deinen Kumpel aussagst (also nicht weiter mit ihm kooperierst), bieten wir dir die Kronzeugenregelung an und du gehst straffrei aus. Falls du nicht mitspielst und dein Kumpel gesteht, trifft dich die volle Härte des Gesetzes, d.h. 10 Jahre Haft.“ Nun lassen sich die Beschuldigten nicht einschüchtern sondern analysieren – jeder für sich – nüchtern die Situation:

Möglichkeit A: Ich gestehe (d.h. beende die Kooperation mit meinem Partner), mein Partner hält dicht (d.h. setzt unsere Kooperation fort) – in diesem Fall gehe ich straffrei aus, mein Partner bekommt 10 Jahre.

Möglichkeit B: Ich gestehe, doch auch mein Partner gesteht – in diesem Fall bekommen wir aufgrund des Geständnisses mildernde Umstände, d.h. 8 Jahre Haft. Die Kronzeugenregelung können wir in diesem Fall vergessen.

Möglichkeit C: Ich halte dicht, mein Partner gesteht – in diesem Fall treffen mich 10 Jahre Haft, er geht frei.

Möglichkeit D: Sowohl ich als auch mein Partner halten dicht (d.h. wir kooperieren) – in diesem Fall kann uns die Polizei nur unerlaubten Waffenbesitz nachweisen und wir gehen beide für ein Jahr in Haft.

Die beste gemeinsame Lösung besteht für die beiden nun eindeutig darin, nicht zu gestehen (d.h. miteinander zu kooperieren und 1 Jahr in Haft zu gehen). Das Dumme an der Situation ist aber, dass ich die Entscheidung meines Partners nicht kenne – wird er kooperieren oder mich ausliefern? In dieser Situation ist es für beide Beschuldigten paradoxerweise unabhängig von der Entscheidung des anderen die beste Wahl, zu gestehen. Gesteht nämlich mein Partner, habe ich die Wahl zwischen 8 Jahren (beide gestehen) und 10 Jahren Haft (ich halte dicht). Gesteht er nicht, habe ich die Wahl zwischen 0 Jahren (ich gestehe) und 1 Jahr Haft (ich halte dicht). In beiden Fällen steige ich also mit einem Geständnis (Nicht-Kooperation) besser aus als durch Kooperation.

Man möchte im ersten Augenblick meinen, dass diese Situation unrealistische und denkbar ungünstige Umstände für Kooperation darstellen. Bei näherer Betrachtung finden wir jedoch Gefangenendilemmata in allen modernen Lebensbereichen. Durch Nicht-Kooperation können wir uns (kurzfristige, unmittelbare) Vorteile im Geschäftsleben, bei Investitionsentscheidungen und sogar in privaten Beziehungen sichern. Trittbrettfahren und Egoismus zahlen sich aus.

Warum unsere Welt dennoch funktioniert erklärt Manfred Nowak [2] anhand von fünf Mechanismen:

  • Direct Reciprocity: Sollten die beiden Beschuldigten ein eingespieltes Team sein, so stehen sie nicht nur einmal sondern immer wieder vor der Entscheidung zu kooperieren. Im wiederholten Gefangenendilemma ist zu erwarten, dass Nicht-Kooperation später gerächt wird und damit von Beginn ein Anreiz zur Kooperation gegeben.
  • Indirect Reciprocity: In Fällen, in denen eine mehrfache persönliche Begegnung unwahrscheinlich ist (z.B. auf globalen Marktplätzen wie Ebay), wirkt Reputation als gesellschaftliches Mittel, Kooperation zu fördern. Wer nicht kooperiert verliert gesellschaftliche Anerkennung und wird in Zukunft als Kooperationspartner gemieden.
  • Spatial Games: Durch räumliche Nachbarschaft und damit verbundene häufige Interaktionen entstehen durch kooperative Menschen Inseln des Wohlstands, die sich ausbreiten und eine Kultur der Kooperation ermöglichen.
  • Group Selection: Der Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe durch gegenseitige Kooperation verschafft einen Überlebensvorteil für die gesamte Gruppe gegenüber anderen Gruppen
  • Kin Selection: Die Kooperation mit (nahen) Verwandten erhöht die Chance, dass meine Gene überleben.

Das Gefangenendilemma kann erklären, warum sich kooperatives Verhalten in einer Welt des „struggle for survival“ überhaupt entwickeln konnte. Nowak geht einen Schritt weiter und erkennt in Kooperation neben Mutation und Selektion die dritte treibende Kraft der Evolution. Gerade diese These Nowaks ist in der Fachwelt umstritten – es scheint nicht leicht, die Tatsache von Kooperation wissenschaftlich einzuordnen und zu begründen.

 


[1] Axelrod R., The Evolution of Cooperation, Basic Books, 1984

[2] Nowak, M., SuperCooperators: Evolution, Altruism and Human Behaviour (or, Why We Need Each Other to Succeed), Canongates Books, 2011