Ich und Du – alles wirkliche Leben ist Begegnung

Vielleicht haben Sie schon von Martin Buber gehört? Er war Religionsphilosoph und hat 1923 sein wohl bekanntestes Werk, „Ich und Du“, veröffentlicht. Nun wäre es anmaßend von mir, „Ich und Du“ in wenigen Zeilen zu erzählen – geschweige denn erklären zu wollen. Vielleicht gelingt es mir aber, etwas Neugier auf seine Philosophie zu wecken.

„Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung“[1], wir haben zwei Möglichkeiten, der Welt zu begegnen. Meist begegnen wir ihr in einer Haltung, die dem Wortpaar „Ich und Es“ entspricht. Wir erleben die Welt als etwas Äußeres, von uns Getrenntes und getrennt Erfahrbares.

Es gibt aber auch eine zweite Form, der Welt zu begegnen, die dem Wortpaar „Ich und Du“ entspricht. Dieses „Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. […] das Reich des Du hat einen anderen Grund. Wer Du spricht, hat kein Etwas zum Gegenstand. Denn wo Etwas ist, ist anderes Etwas, jedes Es grenzt an anderes Es, Es ist nur dadurch, dass es an andere grenzt. Wo aber Du gesprochen wird, ist kein Etwas. Du grenzt nicht. Wer Du spricht, hat kein Etwas, hat nichts. Aber er steht in Beziehung.“[2]

Als Kinder erleben wir das „Grundwort Ich-Du“ als natürlichen Zustand. Neugeborene erarbeiten sich erst die Grenzen – ihres Körpers, ihrer Empfindungen, ihres Denkens und Handelns. In der Versunkenheit des kindlichen Spiels erleben wir einen Zustand des ‚ganz seins‘, in dem es schlicht nichts gibt außerhalb von uns und unserem Spiel. Langsam erst finden wir in die Welt des „Es“:

„Schaffen ist Schöpfen, Erfinden ist Finden. Gestaltung ist Entdeckung. Indem ich verwirkliche, decke ich auf. Ich führe Gestalt hinüber – in die Welt des Es. Das geschaffene Werk ist ein Ding unter Dingen, als eine Summe von Eigenschaften erfahrbar und beschreibbar. Aber dem empfangend Schauenden kann es Mal zu Mal leibhaft gegenübertreten.“[3]

Im künstlerischen Schaffen, im „Flow“[4] der Arbeit und des Spiels, als Liebende, Träumende und Meditierende bekommen wir eine Ahnung von einem großen Zustand von Kooperation, den Buber als die Welt „des Grundworts Ich-Du“ benennt. In dieser Welt sind wir unmittelbar und eins mit unserem Gegenüber:

„Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie; […] kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme […]. Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung.“[5]

In der Welt des „Ich-Du“ sind wir auch eins mit der Zeit:

„Das Ich des Grundworts Ich-Es […] hat nur Vergangenheit, keine Gegenwart. Mit anderm Wort insofern der Mensch sich an den Dingen genügen lässt, die er erfährt und gebraucht, lebt er in der Vergangenheit und sein Augenblick ist ohne Präsenz. Er hat nichts als Gegenstände; Gegenstände aber bestehen im Gewesensein. Gegenwart ist nicht das Flüchtige und Vorübergleitende, sondern das Gegenwartende und Gegenwährende. Gegenstand ist nicht die Dauer, sondern der Stillstand, das Innehalten, das Abbrechen, das Sichversteifen, die Abgehobenheit, die Beziehungslosigkeit, die Präsenzlosigkeit.“[6]

Vermutlich geht die Welt des „Ich-Du“ über die meiste Kooperation hinaus, und doch können wir in manchen Kooperationen ein Stück dieser Welt in die Erfahrung und etwas schöpferisch Neues in die Welt des „Es“ bringen.



[1] Buber, 1995, S. 3

[2] Ebenda, S. 4f

[3] Ebenda, S.11

[4] Csikszentmihalyi, M.,  Flow: Das Geheimnis des Glücks, Klett-Cotta, 2010

[5] Buber, 1995, S. 12

[6] Ebenda, S. 13