Presencing

Claus Otto Scharmer ist Mitglied der MIT Sloan School of Management, eines der renommiertesten Universitätsinstitute für Managementfragen. Er hat 2007 erstmals seine „Theory U“[1] veröffentlicht, in der er jenem Moment auf die Spur kommen möchte, in dem Neues in die Welt kommt.

Die Vorgeschichte seiner „Theorie U“ wird im Buch „Presence – Human Purpose and the Field of the Future“[2] erzählt. Gemeinsam mit Peter Senge, Joseph Jaworski und Betty Sue Flowers hat sich C. Otto Scharmer im November 2000 auf eine 1,5 jährige Entdeckungsreise gemacht. Als SpezialistInnen organisationalen Lernens wollten sie gemeinsam ergründen, wie „profound change“ in Menschen, Organisationen und Gesellschaften entsteht. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und Gesprächen mit Größen aus Wirtschaft und Wissenschaften kommen Sie zum Schluss, dass das Neue oft unvermittelt entsteht und doch mit überraschenden Methoden gefördert werden kann. Die dafür notwendigen Fähigkeiten vermutet man nicht in einem Buch von ManagementexpertInnen – es handelt sich um Fähigkeiten wie die „capacity to suspend“ (unser gewohnheitsmäßiges Denken zu stoppen bzw. auszusetzen), „integrating inner work“ (die Nutzbarmachung von Meditation und anderen spirituellen Praktiken), „encountering the authentic whole“ (dem authentischen Ganzen begegnen) oder „seeing with the heart“ (mit dem Herzen sehen).

„Theorie U“ fasst diese Erkenntnisse in eine Sequenz zusammen, die substantielle Veränderung ermöglichen soll. Ausgangspunkt sind die Kommunikationsprozesse, mit der wir unsere Welt (bzw. Organisation) immer neu bestätigen und somit immer wieder neu kreieren und festigen. In der „Gewohnheitswelt“ dominiert eine Kommunikation, die Scharmer als „downloading“ bezeichnet. Wir nehmen Kommunikation wie nebenbei wahr, ohne sie zu hinterfragen und wie automatisch zu deuten und in unser bestehendes Denken einzuordnen.

Für tiefgreifende Veränderungsprozesse sei nun notwendig, andere, tiefergehende Ebenen der Kommunikation zu erreichen. Über ein Innehalten und Hinsehen geht es um eine „Öffnung des Denkens“. Über ein Hinspüren („sensing“) geht es um eine „Öffnung des Fühlens“. Schließlich beschreibt er die „Öffnung des Willens, die Fähigkeit, alte Identitäten und Intentionen loszulassen“[3] als dritten notwendigen Schritt, um das Neue entstehen zu lassen. Gelingt dieser Weg so gilt es, das Neue ohne die inneren Stimmen des Urteilens, des Zynismus und der Angst zunächst einfach kommen zu lassen, es dann allmählich zu „verdichten“, zu erproben und schließlich in die Welt zu bringen („performing“).

Am tiefsten Punkt des U (d.h. nach der erfolgten „Öffnung des Willens“ und vor dem „kommen lassen“ des Neuen) entsteht etwas, dass Scharmer nur schwer beschreiben kann. Er nennt es „mit der Quelle verbinden“. Aus dieser Quelle heraus entsteht das Neue, es gilt also lediglich, dazu Zugang zu finden. Erfolgreiche Prozesse tiefgehender Veränderung von Organisationen oder Gesellschaften erfordern nach der Theorie U die Fähigkeit, sich gemeinsam neuen Formen der Kommunikation zu öffnen. Zukunft kommt über diesen Akt der Kooperation in die Welt.



[1] Scharmer, C.O., Theorie U: Von der Zukunft her führen, Carl-Auer, 2009 (englische Ausgabe: SoL 2007)

[2] Senge, P. u.a., Presence: Human Purpose and the Field of the Future, SoL, 2004

[3] Scharmer, 2009, S. 241